RETROSPEKTIVE
von Rabe Habdank, Berlin
Rede zur Eröffnung der Habdank-Retrospektive am 28. 3. 2007 im Wohnstift Augustinum Ammersee
Die Walter Habdank Retrospektive, die heute Abend eröffnet wird, ist der erste Versuch eines Überblicks über sein vielfältiges und reiches Schaffen. Geboren wurde Habdank 1930 in Schweinfurt, gestorben ist er 2001 in Berg am Starnberger See, wir blicken auf ein Werk, das in etwa 55 Jahren intensiver Arbeit entstand. Wir sehen einen Querschnitt durch die Jahrzehnte, Bilder verschiedenster Techniken, derer sich Habdank bediente: Litographien, Holzschnitte, Siebdrucke, Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde in Öl, Acryl und Mischtechnik. Eine wirklich umfassende Gesamtschau seines Werks zu realisieren wäre ja auch gar nicht so leicht, müßte man doch z.B. hunderte Quadratmeter Mosaik abtragen, tonnenschwere Holzreliefs verfrachten, Wandmalereien, innen und außen, aus Ihrem architektonischen Zusammenhang entfernen, mehrere Dutzend Glasfenster in Kirchen demontieren, nebenbei in fernen Städten und Ländern Gemälde einsammeln, gleichzeitig Denkmale und Mahnmahle aus Stein, Metall und Holz, ja ganze Altäre bei Seite schaffen und dabei gleich verschiedenstes Kirchengerät mitgehen lassen.
Dennoch, was wir hier sehen, ist zweifellos repräsentativ: denn Holzschnitt, Öl und Aquarell standen im Zentrum seines Schaffens.
Helmut Biebers Katalog-Beitrag zur Austellung des Frühwerks Walter Habdanks, 2006 im Museum Otto Schäfer in Schweinfurt, hat einen durchaus neuen Blick auf Habdank erlaubt. Die Bedeutung der frühen Jahre, also ungefähr von 1946 bis in die fünfziger Jahre hinein, wird seither immer klarer. Es leuchtet immer mehr ein, wie stark die ersten Jahre nach dem Krieg, das Ende der Schulzeit und die Jahre der Akademie Habdanks Grundhaltung geprägt haben. Deswegen will ich sie hier auch ins Zentrum meiner Betrachtung stellen. Es waren die Jahre, in denen er sich seinen künstlerischen Ort erarbeitete, einen Ort, den er später immer wieder umkreiste, einkreiste und in dessen Mitte er immer weiter vordrang, den er aber nie wieder verließ. Eine eigene künstlerische Idee ist für den Künstler immer etwas Lebenswichtiges, ja Lebensgefährliches, Ihre Realisierung kann man nur mit wenigen anderen Schritten im Leben vergleichen. Genau diesen gefährlichen Kampf um den eigenen Standpunkt kämpfte Habdank als junger Mann, ein für allemal, in der ersten Nachkriegszeit.
Er war gerade 16 Jahre, als er, dem man früh eine künstlerische Begabung bescheinigte, eine Beckmann-Ausstellung bei Günther Franke in München sah. Die enorme Formkraft, die gewaltigen, großen Kompositionen, die entschiedene Selbstsicherheit, und die unbekümmerte Vereinfachung des Gegenstandes müssen Habdank ebso beeindruckt haben wie die undurchsichtige, von zwei Weltkriegen gezeichnete, rätselhafte Düsternis Beckmannscher Gemälde. Auf der anderen Seite die ungehemmte Sinnlichkeit seiner Portraits und Aktbilder, beides empfand Habdank als im eigentlichen Sinn des Wortes vorbildlich.
Zur gleichen Zeit gab es spärliche, einfache Abbildungen von Werken Ernst Ludwig Kirchners und anderer Brücke-Maler zu sehen. Hier bewunderte Habdank die Spontaneität des expressiven, zackigen Strichs, die schnelle, zupackende Art, gleichzeitig das konsequente Durchhalten eines Formprinzips über die ganze Bildfläche. Besonders für die harte, trockene Form von Kirchners Holzschnitten entwickelte Habdank eine Vorliebe, die die eigenen ersten Graphiken, aber auch die späteren entscheidend beeinflußte. In ähnlicher Weise kam er in Kontakt mit den Werken Barlachs, Noldes und den Franzosen Matisse, Braque, und Gauguin. Auch das Werk des Außenseiters Georges Rouault, der expressive Geste mit tiefer religiöser Empfindsamkeit verband, öffnete dem jungen Habdank die Augen für seinen eigenen Weg. Sie alle gaben ihm Ansporn und Kraft.
Indes war der deutsche Expressionismus nach dem 2. Weltkrieg entkräftet. Seine noch junge Tradition war schlagartig beendet worden. Nicht nur die Tatsache, daß die Welt nach dem Krieg nicht mehr mit den Mitteln der Vorkriegszeit dargestellt werden konnte, nicht nur die bekannte Tatsache, daß der Nationalsozialismus die Vertreter des Expressionismus als entartet erklärt hatte, sie verfolgte, zermürbte oder vernichtete, waren für den sofortigen Abbruch dieser Tradition verantwortlich, Tatsachen, die Habdank sehr beschäftigten. Es kam hinzu, daß diese betont deutsche Tradition, diese Suche nach eigenen, nordischen Wurzeln, ihr Rückgriff auf den Mythos einer Ursprache, ihre Suche nach dem Archaischen vom Nationalsozialismus zunächst vereinnahmt werden sollte, als Angriffswaffe benutzt werden sollte.( Es gibt Zitate Goebbels in dieser Richtung, die ich Ihnen an dieser Stelle ersparen will.) Auch wenn der Expressionismus später in einer Auseinandersetzung am grünen Tisch als national-verbindliche Kunstform unterlag, und an seine Stelle ein propagandistischer Realismus gesetzt wurde, waren der Expressionismus - und mit ihm manch einer seiner Vertreter - doch mit dem Nationalsozialismus zu verstrickt, um nach dem Krieg einfach fortgesetzt werden zu können. Einzelgänger wie Barlach, Heckel, Nolde oder Hofer setzten ihr Werk fort, jeder für sich und ohne in größerem Umfang wahrgenommen zu werden.
So sah sich Habdank, begeistert von den Werken der deutschen Expressionisten, ohne lebendige Tradition auf sich selbst gestellt. Seine Vorbilder hatten keine Bedeutung mehr, Kirchner hatte sich 1937 das Leben genommen, Beckmann brach in seinem New Yorker Exil 1950 auf der Straße zusammen.
Man stelle sich einen jungen, mittellosen Maler nach dem Krieg vor: Habdank hatte selbst den Krieg miterlebt und erlitten, Vertreibung und Umsiedlung erlebt, als Sohn eines evangelischen Diakons wuchs er in einem Erziehungsheim auf, das seine Mutter leitete. Die Familie hatte das Wenige, das sie hatte, verloren.
Der Maler hatte das Nötigste zum Überleben, erbärmliches Arbeitsmaterial, und nun waren auch noch seine "Helden" entweder tot oder in alle Richtungen versprengt.
1949: Habdank beginnt sein Studium der Malerei an der Münchner Kunstakademie. Er kommt in die Klasse von Prof. Walther Teutsch. Teutsch war ein Maler der ruhigen Form, ein an der Klassik orientierter Bildarchitekt in den Fußstapfen Hanns von Marees: Eine Atmosphäre von Poussin, Arkadien, der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.
Habdank erweitert seine zeichnerischen Fähigkeiten, ein ernstes Studium der menschlichen Figur und eine gut vermittelte Durchdringung der Gesetze eines Bildes geben ihm Sicherheit, er lernt also alles das, was uns mit Bitterkeit an den Zustand der heutigen Akademien erinnert. In diesen sehr fruchtbaren Akademiejahren entdeckt Habdank die alte Pinakothek für sich, besonders die altdeutsche Malerei, Grünewald, Frühauf und Cranach. Die frühen Italiener begeistern ihn, wie wir das auch aus anderen Malerbiographien kennen. Er entdeckt Giotto, reist mit dem Fahrrad vorort nach Padua und ist überwältigt. Heute war jeder Kunstliebhaber schon bei Giotto in Assisi oder bei Piero della Francesca in Arezzo und sieht perfekt restaurierte, gut vermarktete Fresken. Anfang der 50er-Jahre war das Studium dieser frühen Meister ungewöhnlich. "Die Alten", das waren vor allem Raffael und Michelangelo, erst viel später kam es in Mode diese, ursprünglichere, im besten Sinn primitivere Malerei wahrzunehmen. Giotto, das war für Habdank die Entdeckung der Erzählung im Bild, eines knappen, präzisen, harten Bildablaufs. Das waren Bildorganisation, Beziehungen im Bild, Rhythmus, einfache Farbgebung, das war die Begegnung mit den Grundgeheimnissen der Malerei: Raum und Fläche, und die Kunst, sie miteinander zu verbinden. Oft vertrat Habdank später bei abendlichen Diskussionen die Auffassung, Giotto sei das non plus ultra der Malerei. Er sei der erste europäische Maler und der größte.
So kam er nach dem ganz der eigenen Zeit verpflichteten, einem momentbezogenen, innerlich aufgewühlten Gefühl entspringenden Deutschen Expressionismus mit dessen glatten Gegenteil in Berührung: einer über alles erhabenen Bildtradition alter italienischer und deutscher Meister. Oft kennen wir ihre Namen nicht, wir kennen ihre Welt nicht, wir wissen nicht, wer sie waren. Und wir fragen nicht danach: Denn sie hatten nicht sich selbst im Auge, keiner von Ihnen dachte, er müsse einen besonderen, nur ihm selbst gehörenden Blick auf die Welt darstellen, sie bemühten sich nicht darum, neu zu sein, sie waren es. Wie Valery einmal so schön sagte: sie boten nicht Absichten an, sondern Wunder.
Genau das ist es, was Habdank bei Ihnen fand und sich aufmachte, Ihnen zu folgen: die Fähigkeit unser Leben, unsere Gesten, unsere kleine, irdische Existenz in eine ganz andere Höhe zu heben, in einen überzeitlichen Zusammenhang zu stellen und den Hintergrund, vor dem sich unser Leben abspielt, in ihm durchscheinen zu lassen. Die Fähigkeit zu einer formelhaften, universellen Aussage , zu einer geheimnisvollen Kraft der Form, einer über-individuellen Form, einer Form, die die Malerei, indem sie eine Bedeutung hinter dem Sichtbaren zeigt, zum Mittel der Offenbarung werden läßt.
Die Verbindung zweier Gegensätzlicher Traditionen also machte sich Habdank zur Aufgabe: Die Vereinbarung eines heftigen, auch religiösen Gefühls, eines der eigenen Persönlichkeit entspringenden Ausdrucks mit einer Darstellung, die den individuellen Ausdruck zu überschreiten sucht, und in einer Meditation religiöser Erzählungen, Gestalten und Inhalten mündet. Wenn Kardinal Meißner einmal schrieb, Habdanks Holzschnitte seien westliche Ikonen, triftt er genau das Zentrum des Habdankschen Anliegens, das er mit bereits mit 25 Jahren intuitiv erkannt hatte.
Habdank erfand im Holzschnitt, der Lithographie und der Malerei schon früh Kompositionen, auf die er später immer wieder zurückgriff und weiterentwickelte. Gestalten wie die des Sehers, des Gefangenen, des Ausschau haltenden, der Mutter mit Kind, treten in profanen wie bilblischen Szenen immer wieder auf, manchmal in enger Anlehnung an eigene, frühere Gestaltungen. Darüberhinaus schuf er hunderte Holzschnitte, die sich auf einen konkreten biblischen Zusammenhang beziehen im Sinne einer Bibelbebilderung. Er entwickelte Bilderfolgen wie z.B. die Schöpfungsgeschichte, die Geschichte Jonas, die sieben Werke der Barmherzigkeit oder den Kreuzweg, der sicher eine herausragende Stellung in seinem Holzschnitt- Werk darstellt. Seine Figuren werden im Laufe der Jahre immer plastischer und lebendiger, gewissermaßen geerdeter, die Darstellung der Szenen dramatischer. Gleichzeitig verdichten sich seine Kompositionen, werden knapper und konzentrierter. Ich denke an den "Noah", den "Simeon", den "alten Fischer", der Hemingways "Der alte Mann und das Meer" auch in seiner archaischen Erzählart nahesteht. Ich denke an seine Christusdarstellungen etwa in der "Blindenheilung", oder in "Noli me tangere" von 1984, ein auf die Gesichter und Hände von Christus und Maria reduzierter Holzschnitt, eine ganz enge, ernste Annäherung in Gesten und Blicken, beide Figuren groß, nah, und ohne zu lächeln.
Große Augen, große Hände: dieses vielbesprochene "Markenzeichen" Habdanks vergrößert nocheimal, was für Habdank wichtig war. Als Hauptausdrucksträger innerer Zustände verlassen sie den Bereich des persönlichen, momentanen Gefühls und werden zu Trägern von allgemein-menschlichen Ur-Befindlichkeiten : von Verzweiflung und Hoffnung, Trauer und Freude, Schlechtigkeit und Wohlgesonnenheit, und oft sehen wir diese Gegensätze in einem Auge, in einer Hand.
Habdanks Figuren erhielten in den späteren Jahren immer geringere Variationen des Ausdrucks. Das Allgemeinmenschliche wurde ihm immer wichtiger. Was auf den ersten Blick oft plakativ wirkt, war indes eine gezielte Verallgemeinerung. Sie ging einher mit einer von ihm erfundenen Technik, die ihm erlaubte, Teile des Holzstocks, in den er schnitt, wieder herauszunehmen und zu ersetzen, zu verkleinern oder zu vergrößern, und schließlich wieder einzukleben. So sahen die Holzstöcke z.T. aus wie Mosaike. Und mir scheint, als hätte sich dieses rein technische Element in den Ausdruck seiner Bilder übertragen. Sie wirken weniger organisch, immer stärker zusammengesetzt aus ganz eigenen Habdank-Kurzformeln.
Machen wir einen Sprung in die 80er Jahre. Wir sehen Habdank als einen erfolgreichen, in privatem und kirchlichem Kreis bekannten, wohllebenden Maler. Er strahlt äußere und innere Sicherheit aus.
Er hatte 1962 Friedgard Hofmann geheiratet, die ihm wie und wo auch immer zur Seite stand, ihn unterstützte und sich von nichts entmutigen ließ, auch nicht von der sehr entbehrungsreichen Anfangszeit des gemeinsamen Überlebens. Auch heute vertritt sie Habdanks Werk der Öffentlichkeit gegenüber mit unbeugsamer Treue. Es hatte eine Zeit der Expansion begonnen, und das in jeder Hinsicht: Habdank wurde Vater dreier Kinder, und begann auf Drängen einiger seiner treuen Freunde in den 70er Jahren eine rege Ausstellungstätigkeit - insgesamt stellte er hunterte Male in seinem Leben aus, oft auch in seinem eigenen Haus. Habdanks Bibel-Werk wurde vor allem kirchlicherseits geschätzt, besonders die katholische Kirche erkannte den Wert der Bilder des überzeugten Protestanten. Es kam über die Jahre hinweg zu großen Kirchenausgestaltungen in Form von großformatigen Gemäldezyklen und Altarreliefs aus Holz. Wenn Habdank sich in seiner von ihm selbst verfassten Todesanzeige als "Arbeiter des Herrn" bezeichnet, gilt das hier im eigentlichen Sinn des Wortes "Arbeit": Es war auch eine körperliche Herausforderung von großer Anstrengung.
Von entscheidender Bedeutung war die Begegnung und Freundschaft mit Georg Rückert, dem Gründer des Augustinum in den 60er Jahren. Habdank schloß sich dessen Projekt an und blieb ihm und später seinem Sohn und Nachfolger Markus Rückert zeitlebens eng verbunden. Nicht nur wuchs Habdank durch Rückerts außergewöhnliche Energie, von der er gewissermaßen einen Teil für sich ableitete, er bekam von beiden, Vater und Sohn, auch zahlreiche Aufträge für die Ausgestaltung der Wohnstifte. Es gibt augustinische Häuser, die den Namen Habdank-Museum durchaus verdienen würden. Mosaiken, Holzreliefs, Wandmalereien, Faschingsdekorationen, Ausgestaltung von Hauskapellen usw., dafür gab es im Augustinum nur einen. Habdank war generell für Form und Farbe zuständig und entwarf zusammen mit dem Buchdrucker Oskar Kürzl, der auch Habdanks Holzschnitte druckte, eine eigene Schrift: die Augustina-Schrift. Und vielleicht ist gerade hier der richtige Ort zu sagen, daß eine erste Habdank-Retrospektive ganz natürlich im Augustinum stattzufinden hat.
Durch die jahrelange, intensive Arbeit an den figürlichen Bildern, zumal den Holzschnitten, angestrengt, suchte Habdank in den 80er Jahren einen erfrischenden Ausgleich. Er fand ihn in großformatigen Landschafts- und Blumenaquarellen. Hier konnte er seine betont "malerischen" Fähigkeiten, die sich ja bereits in den frühen Litographien zeigten, voll ausspielen. Ich sage ausspielen, weil seine Vorgehensweise, gerade im Vergleich zu den lang erkämpften Holzschnitten, hier sehr spontan, spritzig und schnell war. Nach einer genauen Auswahl des Motivs - Habdank ging bereits mit klaren Bildvorstellungen auf Motivsuche, Überraschungen ließ er ungern zu - begab er sich vorort und warf in rascher Folge einige Landschaften aufs Papier, die er dann zu Hause mehr oder weniger bearbeitete. Natürlich können auf diese Weise nicht nur Meisterwerke entstehen, das wußte auch Habdank. Einige wenige Bilder waren auf Anhieb gelungen und strahlten genau diese Energie und Heiterkeit aus, mit der man den Maler bei der Arbeit in der oberbayerischen Landschaft beobachten konnte. Andere Aquarelle fand der Meister durchaus mißglückt, er konnte sich von seinen Schöpfungen aber ungern trennen, die Niederlage nicht so recht eingestehen. Den Satz: "da kann man schon noch was draus machen", ein Satz aus der Nachkriegszeit, hörte man öfter von Habdank. Unverdrossen machte er sich an die Überarbeitung, aus einer Berglandschaft wurde eine Seelandschaft, Bäume wurden zu Blumen, Rot zu Blau und - schließlich war alles zu spät. Er sah, daß es nicht gut war. In diesen bitteren Momenten des Scheiterns, das eigene Versagen vor Augen, nahm Habdank, der nicht so schnell aufgab, dann gelegentlich ein Gerät in die Hand, zu dessen eigentlichem Zweck er es sonst nie verwendete: den Gartenschlauch. Mit Hilfe des Gartenschlauchs spritzte er das Bild ab, und am Besten gleich nochmal, in der dringenden Hoffnung auf eine Lösung des Problems. Mir ist kein Bild bekannt, bei dem der Einsatz des Gartenschlauchs irgendetwas Gutes bewirkt hätte. Das sah auch Habdank so. Unter großem, leicht gequältem Gelächter zerriß er das Bild in kleine Stücke und verabschiedete es im Papierkorb. Man sah ihn auch einige Papierfetzen nocheimal herausholen, sie waren offenbar noch nicht genügend zerkleinert. Aber schließlich war er frei für neue Taten.
Habdanks Aquarelle, auch auf Reisen in die Schweiz und Teneriffa entstanden, geben seine oft festliche Stimmung dieser Jahre wieder. Sie sind von großer Sinnenfreude, es sind die Jahre, in denen auch seine erotischsten Frauengemälde entstehen. Habdank war nicht der Meinung, daß Sinnlichkeit von Gott entferne, im Gegenteil: eine übertriebene, blutleere Abstraktion wurde in seinen Augen der plastischen Schöpfung nicht gerecht. Nie verließ er den mit Augen und Herz wahrgenommenen Gegenstand, er sei uns doch schließlich zur Freude am Schauen und Fühlen geschenkt worden. Eine nicht-gegenständliche Malerei hatte er bereits seit den ersten Ausereinandersetzungen zur Akademiezeit für sich ausgeschlossen.
Im Jahr 1995, Habdank war 65 Jahre alt, konnte er vielleicht seinen größten, äußeren Erfolg feiern. Der Pattloch-Verlag, der Bibelausgaben mit Werken von Chagall, Dali und Hundertwasser vorgelegt hatte, veröffentlicht in dieser Reihe nun auch die Habdank-Bibel mit 80 seiner Holzschnitte. Gleichzeitig war dies auch ein gewisser Schlußpunkt seiner Holzschnitttätigkeit. Habdank begann die Darstellung der Apokalypse, war aber nicht mehr energiegeladen genug, um sie fortzusetzen. Des öfteren bemerkte er, daß er eigentlich seinem Werk nichts Wesentliches mehr hinzufügen konnte, wobei er sich aber z.B. durch einige weitere Auftragsarbeiten und Gemälde darin etwas widersprach. Er arbeitete in der Tat weniger, viel weniger, er wirkte oft kraftlos, müde und wenig gesprächig. Eines Tages beschloß er das Messer, mit dem er ins Holz schnitt, aus der Hand zu legen. Er starb im Jahr 2001, mit 71 Jahren, nach einer zu spät erkannten Krankheit in seinem Atelier.
Walter Habdank schuf also ein Werk, das früh eine klare Richtung einschlug und diese beharrlich und unerschütterlich weiterführte, ein Werk, dessen Ziele klar sind und in wenigen Worten ausgedrückt werden können, kurz gesagt ein Lebenswerk. Genau das gibt es fast nicht mehr, genau das machte Habdank seinen Kollegen, den Kritikern, denen, die sich zu Kunstsachverständigen erklären, kurz der Welt der zeitgenössischen Kunstszene, verdächtig. Ein Werk ohne Bruch gilt als antimodern. Man warf Habdank immer wieder vor literarisch zu sein, ja seine Holzschnitte zur Bibel bezeichnete man als illustrativ und damit außerhalb der autonomen, reinen, in sich selbst gründenden Kunst. Die Beschäftigung mit biblischen Themen wurde als völlig veraltet belächelt, den Herausforderungen des Jahrhunderts könnten christliche Antworten doch nicht standhalten, die Menschheit befände sich doch in einer völlig neuen, unvergleichlichen Situation. Infolgedessen wurde seine Arbeit über die ganzen Jahrzehnte vom offiziellen Kunstbetrieb übergangen, oder besten Falls für uninteressant erklärt. Noch heute ist Habdank in Kunstzeitschriften, Galerien, Messen und Museen unbekannt. Weder zu seinem Tod, noch zu seinem 75. Geburtstag wurde von dieser Seite her eine Bemerkung gemacht. Dafür gibt es Gründe.
Nachdem der Realismus von den Nazis vereinnahmt und pervertiert worden war und dadurch seine Bedeutung verloren hatte, war es an der Zeit, eine Kunst zu erfinden, die keine Bedeutung mehr hatte, keine Erinnerung, keine Vergangenheit. Nur eine ungegenständliche, rein formalistische Kunst konnte das bieten, sie mußte kein schlechtes Gewissen haben. Eine Kunst, die ihre Methode zum Sinn und Zweck erhebt. Eine Kunst ohne Gesicht, ohne Antlitz, ohne jedes "von Angesicht zu Angesicht". Eine Kunst, die offensichtlich vergessen hat, was der Mensch vom Menschen weiß.
Strömungen aus Amerika überspülten ein am Boden zerstörtes, verunsichertes Europa, die man verkürzt vielleicht mit drei Schlagworten zusammenfassen kann: zunächst das leere Schweigen, danach die multikulturelle Verflachung und später der Einbruch der Vulgarität. Europa dagegen, das bedeutet in der Malerei immer Formbeschreibung, Fülle, nichts der Leere und der Unmenschlichkeit überlassen, alles benennen.
Der in diesem Sinne Europäer Habdank beobachtete die Entwicklungen der modernen Kunst nach 45 mit Unverständnis, Argwohn und Verachtung, begleitet von gelegentlichen verbalen Ausfällen. Er mußte zusehen, wie fortschrittsgläubige Vorkämpfer des immerwieder Neuen, die sich ganz militärisch "Avantgard" nannten, auftraten, in kurzer Zeit das Feld beherrschten, und schließlich, bestätigt durch 68, mit blinder, destruktiver Energie alles, was eben europäische Bildtradition bedeutet, wegfegten. Wie Sie sich selbst zur intenationalen Kunst- und Kulturelite ernannten, Galerien, Museen und Kuratorien besetzten, wie sie in den zeitgenössischen Künstlern treue Gefolgschaft bekamen, denn diese fühlten sich in ihrer endlosen Suche nach Originalität bestätigt. Wie sie dann aber schließlich in den 80ern und 90 ern entkräftet das ehemalige Schlachtfeld verließen, ohne etwas aufgebaut zu haben, was über den Tag hinaus bleibt, und die Kunst einem allgemeinen „anything goes“, der sogenannten "Postmoderne", überließen, ihre früheren Ideen aber in erstarrter, geradezu reaktionärer Weise weitervertraten und sich schließlich in einem Rückzugsgefecht in die Redaktionen der Massenmedien verschanzten. Habdank verabscheute Feuilletons und Kultursendungen, er konnte nicht verstehen, warum er einem breiten Publikum etwas geben konnte, die Kulturinstitutionen aber über dieses, sein Publikum, aber dadurch hiweggingen, daß sie seine Arbeit nicht berücksichtigen. Und ich meine, es wird immer deutlicher, daß Habdank Recht hatte: es wird künstlich und mit großem Aufwand eine Struktur aufrecht erhalten, die längst von der Gesellschaft nicht mehr repräsentiert wird.
Habdank ging gelegentlich in die Staatsgalerie moderner Kunst, um die ihm vertrauten Bilder des deutschen Expressionismus wiederzusehen. Einmal, ich wollte ihn etwas ärgern, konnte ich ihn dazu zu bewegen, danach auch in den Saal der Kunst nach 45 die Treppen hinaufzulaufen. Nach dieser auch sportlich außergewöhnlichen Herausforderung trat er nur widerwillig ein, sah sich alles schnell und mit aufgerissenen, ungläubig-traurigen Augen an, sagte kein Wort, und verschwand wieder, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. Er beschuldigte mich, ich hätte ihm wertvolle Arbeitszeit geraubt. Was er sah, konnte seinen Anforderungen nicht genügen, er fühlte sich an einem von allen guten Geistern verlassenen Ort. Er konnte es nicht aushalten, wenn, wie er immer sagte, "die Welt in den Dreck gezogen und der Mensch verhöhnt" werde.
Natürlich täuschte sich Habdank nicht über den verwirrenden Anblick seiner Zeit hinweg. Er sah aber die Aufgabe des Künstlers darin, die geistig-spirituellen Möglichkeiten des Menschen zum Ausdruck zu bringen. Der Künstler sollte das Beste, zu dem der Mensch fähig ist, bekräftigen: Glaube, Schönheit, Liebe, Andacht oder einfach das, was man sich erträumt oder erhofft. Er sollte nicht für eine Bestätigung seiner Individualität arbeiten, sondern einer anderen und allgemeineren Idee dienen.
Meine Damen und Herren,
von einer eigentlichen Deutung der Bilder Habdanks habe ich abgesehen. Man kann viel über ein Bild sagen, jedes einzelne Detail beschreiben und doch eine völlig nichtssagende Vorstellung von ihm gewinnen. Es gibt viel über das Leben eines Malers sagen, die prägenden Einflüsse, die Bedingungen, unter denen sein Werk entstand, über die Bilder selbst, woher sie kommen, wissen wir deswegen noch nichts. Sie sollten nicht Gegenstand von Spekulationen sein sondern Gegenstand der Betrachtung.
Habdank konnte sehr gut zu und über seine Bilder hinaus reden, gerne empfing er Einzelne oder Gruppen in seinem Atelier. Ganze Reisebusse kamen, um ihn "predigen" zu hören. Von seinen Bildern ausgehend vertrat er, was er für richtig erkannt hatte, was er glaubte, seine Ansichten über den Menschen, die Welt und Gott, und das in einer durchaus verkündigenden Weise. Er hielt Bildmeditationen in Kirchen und redete bei seinen Ausstellungseröffnungen nach dem offiziellen Redner gerne selbst noch. Es wurden auch zahlreiche religiöse Interpretationen zu Habdank-Bildern veröffentlicht, nicht immer gerade tief. Die Bilder bleiben unaussprechlich.
Werfen wir also einen frischen, einfachen Blick auf die Bilder, und wie Habdank es sich immer wünschte einen Blick der Vertiefung, der kontemplativen Schau im alten Sinn. Bemühen wir nicht unser Wissen über "Kunst" - ein Wort das Walter Habdank völlig fremd war - und versuchen wir seinen Blick nachzuvollziehen, uns in seine Bildwelt einzufühlen, die Notwendigkeit nachzuempfinden, aus der das einzelne Bild entstand, um so die Distanz zu überwinden. Denn, nur der versteht ein Bild wirklich, der am Ende sagen kann: ja, genau so hätte ich es auch gemacht.